Parallele und Parodie – über Beziehungen zwischen der Vokal- und Klaviermusik Hanns Eislers

Die überwiegende Anzahl von Vokalkompositionen im Schaffen Hanns Eislers und dessen Erkenntnis, dass er Musik schreibe, um dem Sozialismus zu nützen, könnten dazu verführen, Textvertonung als primäres, autonom-musikalische Strukturen dagegen als sekundäres Moment seines Komponierens zu betrachten. So wäre es dann gerechtfertigt, ja sogar notwendig, aus der Vokalmusik Modelle für das Verständnis der Instrumentalwerke abzuleiten. Ein solches Verfahren würde freilich zu kurz greifen und das Gewicht der Schönberg-Schule bei Eisler unterschätzen. Für diese sind musikalische Gedanken gerade nicht in Musik gefasste Gedanken, sondern etwas genuin Musikalisches, in der Funktion vergleichbar dem Gedanken einer Abhandlung. Wie wichtig für Eisler autonom-musikalisches Denken war, kann man an der minutiösen Analyse der 32 Variationen c-Moll von Beethoven ablesen, die er 1958 im Gespräch mit Nathan Notowicz ablieferte, in einer Situation, in der von Eisler sicher anderes als eine solche "formalistische" Musikbetrachtung erwartet worden war. In die gleiche Richtung weist seine im Gespräch mit Hans Bunge gemachte Äusserung, er lese Brecht nicht weil dieser Marxist sei, sondern dessen Texte schön seien.

Eisler hat gerade bei angewandter Musik darauf geachtet, dass die Musik nicht das im Text, auf der Bühne oder im Bild Dargestellte verdoppelt, sondern dass sie eine selbständige Ebene bildet. Vielleicht hat ihn nicht nur die Einsicht, dass Verdoppelung nichts bringt, sondern auch die Überzeugung, dass der musikalische Gedanken eigenen Gesetzen folgen muss und sich nicht im Sinne Hugo Wolfs zum Diener des Wortes machen lassen darf, zu diesem Konzept geführt. So sind sämtliche Kammermusikwerke der Exilzeit aus Filmmusiken hervorgegangen und lassen sich ohne weiteres auch ohne das Bild verstehen. Eine Untersuchung wie diese kann also nicht die Synchronität von Text und Musik voraussetzen und über Parallelstellen die Instrumentalmusik semantisch aufschlüsseln wollen.

Allerdings: Parallelstellen gibt es, und mehr noch: parallele Entwicklungen des Stils, der Musiksprache. Es ist aber keineswegs so, dass die Vokalmusik vorausginge und die Instrumentalwerke Veränderungen der Musiksprache gewissermassen nachvollzögen. Dies träfe nicht einmal für den Umbruch Mitte der zwanziger Jahre zu, als sich Eisler von der Schönbergschen Ästhetik abgrenzte und politisch engagierte Musik zu schreiben begann. Es wird im Gegenteil zu zeigen sein, dass Eisler in der Klaviermusik Modelle ausbildet, die er sich dann in der Vokalmusik zunutze macht. In einem Fall, der hier ausgiebig erörtert werden wird, hat er sogar ein ganzes Klavierstück als Vorlage für eine Opernarie benutzt. Eine bemerkenswerte Umkehrung des herkömmlichen Verfahrens, Klavierparaphrasen über Opernarien anzufertigen! Es könnte geradezu auf Gleichgültigkeit gegenüber der Semantik schliessen lassen. Wir werden allerdings sehen, dass Eisler mit gutem Grund dieses Klavierstück dem Arientext unterlegte, und an den kleinen Veränderungen wird erst recht seine Meisterschaft in der musikalischen Umsetzung des Textes deutlich. Doch gehen wir (chronologisch) der Reihe nach, und beginnen mit der Klaviersonate op. l von 1923 und den im Jahr zuvor entstandenen, auch stilistisch benachbarten 6 Liedern op. 2, die noch am ehesten der traditionellen, "einfühlenden" Art der Textvertonung verpflichtet sind.

Das erste Lied von op .2 beginnt mit einem von weiten Intervallen durchsetzten Melodiebogen, der gleichsam das expressive Klima des Zyklus angibt. Die folgende Variante kehrt fast identisch in der Exposition des l. Satzes der Sonate wieder. Diese Wendung scheint es Eisler angetan zu haben, denn er greift im vierten Lied darauf zurück. Hier steht sie für "tanzen", im ersten Lied ("So schlafe nun, du Kleine!") für "wiegen". Ausser derartigen motivischen Parallelen gibt es auch solche der Satzstruktur. Im zweiten Lied, dem ein Claudius-Text über den Tod zugrundeliegt, setzt Eisler zu den Worten "und nun aufhebt seinen schweren Hammer und die Stunde schlägt" in der Klavierbegleitung eine Folge scharf dissonanter und klanglich massiver Akkorde. Ebenso dissonante Akkorde mit oktavierten Bässen finden wir in der Klaviersonate auf dem Höhepunkt der Durchführung des l. Satzes. In den Liedern taucht diese Satzstruktur nur einmal noch auf und zwar in einem ähnlichen inhaltlichen Zusammenhang. Waren die dissonanten Akkorde im zweiten Lied mit dem Hammer des Todes assoziiert, so stehen sie im dritten zu den Worten "Ich bin nicht zu Hause", mit denen das lyrische Subjekt den Besuch des Alters abwehren möchte. Obwohl hier eine relativ eindeutige Zuordnung von musikalischer Struktur und Textinhalt festzustellen ist, wäre es übertrieben, daraus Schlüsse auf den "Inhalt" der Klaviersonate ziehen zu wollen. Weniger ein bestimmter Inhalt verbindet Lieder und Sonate als ein expressives Klima, das durch ungefilterte Direktheit des Ausdrucks bestimmt ist. Die Hammerschläge des Todes sollen spürbar worden, und auf ein ähnlich einfühlendes Hören zielt die Klaviersonate mit ihren heftigen Ausbrüchen, wobei unbestimmt bleiben muss, was die Heftigkeit meint.

Die Direktheit des Ausdrucks, die in der Sonate op. 1 und den Liedern op. 2 zum Ausdruck kommt, gibt Eisler im seinem weiteren Schaffen zugunsten einer Kompositionsweise auf, die Raum lässt für Reflexion, die dem Hörer nicht ein Erlebnis, sondern Erkenntnis vermitteln will. Auf diese reflektierende Distanz zielt Eisler nicht nur in der Vokalmusik, sondern auch in der Klaviermusik – hier bildet er die kompositionstechnischen Korrelate sogar zuerst aus. Da ist in erster Linie das harmonische Montageverfahren zu nennen, die Verknüpfung von Akkorden aus dem Arsenal der funktionalen Tonalität in nicht-funktionaler Weise. Die Logik der Harmoniefortschreitungen in der tonalen Musik ist ja nicht nur durch die Beziehung der Akkorde auf ein tonales Zentrum, sondern auch durch die Gesetzmässigkeiten der Stimmführung gewährleistet. Eisler beseitigt nun das tonale Zentrum, hält aber an der Logik der Stimmführung fest. So löst er das traditionsbefrachtete Material aus dem gewohnten Kontext und nimmt ihm seine – obsolet gewordene – "Natürlichkeit". Als Beispiel für dieses Verfahren sei der Mittelteil des zweiten der acht Klavierstücke op. 8 von 1925 angeführt. Diese in op. 8 entwickelte Montagetechnik benutzt Eisler darauf auch in den Zeitungsausschnitten op. 11, wie die aus der Klavierbegleitung des "Liebeslieds eines Grundbesitzers" abstrahierte Akkordfolge zeigt.

Die Gegenüberstellung des Liedes über den Tod aus den Zeitungsausschnitten mit jenem aus op.2 zeigt besonders deutlich den neuen ästhetischen und kompositionstechnischen Ansatz Eislers. Statt eines poetischen Textes über den Hammerschlag des Todes vertont Eisler nun Antworten aus einer Umfrage über den Tod, mit Banalitäten wie "Wenn man stirbt, so ist man eine Leiche; die ist sehr schön, oder nicht schön". Entsprechend ist Eisler nicht auf authentischen Ausdruck aus wie im op.2, sondern bedient sich abgegriffener klingender Münze. Die Musik will nicht mehr ein bestimmtes Gefühl erzeugen, sondern in ihrer Bedeutung reflektiert, entschlüsselt werden. Dies gilt auch für die Klaviermusik aus dieser Zeit, etwa für das fünfte Stück aus op. 8, wo Eisler eine harmlose, an Wiener Tanzmusik erinnernde Melodie zuerst kontrastiert und dann demontiert, so dass das Stück als Kritik jener Wiener Harmlosigkeit aufgefasst werden kann. Es ist übrigens auffällig, dass Eisler für Akkorde, die in der Musik des 18. Jahrhunderts nur selten, dafür an emotional besonders exponierten Stellen vorkommen, eine besondere Vorliebe hat. So für den Dominantnonakkord in Moll, der etwa in der Bachschen "Matthäus-Passion" im Schlusschor zu den Worten "mit Tränen nieder" gesetzt ist und auch in der Arie "Erbarme dich, mein Gott, meiner Zähren" vorwiegend mit dem Weinen assoziiert ist. Im Zeitungsausschnitte-Lied über den Tod steht dieser charakteristische Akkord zu den auf die Leiche sich beziehenden Worten "sehr schön oder nicht schön". In einem andern Lied, dessen Text auch auf Umfrageantworten beruht, ist derselbe Akkord dem Wort "Sünde" unterlegt. Er erscheint hier als Dominantnonakkord von b-Moll. Diese Fassung scheint es Eisler besonders angetan zu haben, denn sie taucht mehrfach bereits in Klavierstücken op. 8 auf, so – enharmonisch verwechselt – am Ende des Mittelteils von Nr. 2, auch als Abschluss des ersten Achttakters in Nr. 5 oder gegen Ende von Nr. 1. Übrigens kehrt der Nonakkord auf der Dominante auch in der Kampfmusik der späten zwanziger und frühen dreissiger Jahre, in Balladen und Filmmusiken, häufig wieder, dann allerdings in keiner Beziehung mehr auf die traditionelle semantische Besetzung, sondern als weniger abgenutzte Version der Dominante, die in dem wiederhergestellten funktionsharmonischen Zusammenhang reichlich vorkommt.

In Hanns Eislers Klavier- und Vokalmusik der Jahre 1922–27 lässt sich also eine parallele Entwicklung konstatieren, die über ästhetisch-stilistische Kongruenzen hinaus auch zu ähnlichen musikalischen Wendungen führt. Die in op. 2 von Claudius-, Bethge- und Klabund-Texten herausgeforderte Musiksprache war für die Sonate op. 1 prägend, während umgekehrt Eisler bei der Vertonung der Zeitungsausschnitte sich der in den Klavierstücken op. 8 entwickelten Verfahren bedienen konnte. Bei dieser Wechselwirkung von Vokal - und Klaviermusik verwundert es nicht, dass Eisler auch die direkte Benutzung eines Klavierstücks für eine Vokalkomposition möglich war: Eisler hat nämlich die 4. Variation der 1924/25 komponierten 2. Klaviersonate ("in Form von Variationen") 1927 für eine Arie seiner Fragment gebliebenen Oper 150 Mark verwendet (siehe Notenbeispiel am Schluss des Artikels). Beim ersten Hören scheinen die beiden Stücke identisch – abgesehen davon, dass für die Arie zwölf Einleitungstakte hinzugefügt worden sind und dass der Abschluss anders ist als in der Klaviervariation. Dass die Arie im 3/2-Takt, das Klavierstück dagegen in 3/8 notiert ist, ist hörend nicht nachzuvollziehen, da der Puls identisch ist. Auch die Änderung im Rhythmus des ersten Taktes scheint zunächst belanglos, weil einer Äusserlichkeit geschuldet: die Textzeile "Nur der Selbstmord flüstert" lässt eine Betonung auf der zweiten Zählzeit nicht zu, und das h kann nur vier- statt fünfmal erklingen. Diese Änderung hat aber Konsequenzen für das ganze Stück, weil damit das rhythmische Hauptmotiv umgestaltet worden ist und – abgesehen von der letzten Wiederholung – immer in dieser Version gebracht wird. Sie ermöglicht zudem die Neueinteilung der sechs Viertel in 2 x 3 (statt 3 x 2) – eine Möglichkeit, von der Eisler einmal Gebrauch macht, um mit der hemiolischen Gestaltung das Wort "Elend", einen Kernbegriff der Arie, hervorzuheben. Dieses Beispiel zeigt bereits, wie subtil Eisler den Textinhalt musikalisch zu verdeutlichen versteht.

Dieses Raffinement der Umgestaltung bestätigt sich, wenn wir Eislers weitere Eingriffe betrachten. Sie zielen in erster Linie darauf ab, das chromatische Element zu stärken. So wird z.B. ein Sprung in der Basslinie der Klaviervariation in der Arie chromatisch ausgefüllt. Auch in der Ober- bzw. Mittelstimme wird eine solche lückenlose chromatische Verbindung geschaffen, wie die Gegenüberstellung der Anfangstakte von Variation und Arie zeigt. Bemerkenswert an diesen Änderungen – weitere ähnliche liessen sich anführen – ist insbesondere, dass Eisler damit in ein zwölftöniges Stück eingreift, denn selbstverständlich entspricht die Einfügung dieser Noten nicht den von der Zwölftontechnik gesetzten und in der Klaviervariation auch beachteten Regeln. Zu dieser Zeit – 1927 – hatte sich Eisler von der "modernen" Musik bereits losgesagt und behauptete gar, bis auf Äusserlichkeiten nichts von der Zwölftontechnik und -musik zu verstehen, obwohl er mehrere Werke in dieser Technik geschrieben hatte.

Im Hinblick auf Eislers Versuche, Zwölftontechnik und konsonante Harmonik zusammenzubringen, scheint mir diese Arie darum bemerkenswert, weil Eisler hier eine Art harmonischer Revision einer Zwölftonkomposition unternimmt. Denn ohne Zweifel macht die Chromatik nicht nur die Linienführung geschmeidiger, sondern sie führt zu einer viel zwingenderen Harmoniefortschreitung.

Dennoch dürften primär nicht kompositionstechnische, sondern semantische Überlegungen Eisler zur Verstärkung der Chromatik veranlasst haben. Denn damit wird der Klagegestus des Textes unterstrichen. Gegen die Klagelaute der fallenden kleinen Sekunden hat Eisler, der Dialektiker, nun allerdings ein Gegengift gesetzt, dessen Keimzelle die Tonrepetitionen des ersten Taktes sind. Sie erscheinen – als sechsfach wiederholtes f – bei der Wiederholung der Worte "Bis die Löhne eben" in so hoher Lage und langen Werten, dass ein intensives Singen sich aufdrängt. Die Insistenz, die so von den repetierten Noten ausgeht (die übrigens hinzugefügt, also über den ursprünglichen Klaviersatz gesetzt sind), diese Insistenz macht deutlich, dass reichliche Löhne erkämpft werden müssen, und nicht durch Klagen zu bekommen sind. Auch nicht durch Abwarten. Deshalb wiederholt Eisler nur die zweite Satzhälfte "Bis die Löhne eben reichlich sind" und lässt die erste ("Sprich nach tausend Jahren mal wieder vor") weg.

Es war also nicht bloss eine Verlegenheitslösung, ein Zurückgreifen auf den Fundus aus Gründen der Bequemlichkeit, wenn Eisler hier ein Klavierstück zu einer Arie umarbeitete. Denn das Klavierstück bietet genau das Motivmaterial, welches er für seine dialektische Vertonung des Arientextes brauchte. Der erste Takt exponiert die Tonrepetitionen, der zweite die Chromatik. Die Chromatik setzt den Gestus des Textes direkt um, die Repetitionen fügen ihm eine Dimension zu oder setzen gar ein Gegengewicht – und gerade das zeichnet Eislers Textvertonung aus: dass die Musik ihren eigenen, über den Text hinausgehenden Sinn hat. Und dass sie auch strukturell ihren eigenen Sinn hat, ist hier eine tautologische Feststellung, da die Arie ja von einem Klavierstück ausgeht.

Die bisher aufgezeigten Berührungen zwischen Vokal- und Klavierwerken betrafen Werke der zwanziger Jahre. Die beiden ersten Klaviersonaten und die Klavierstücke op .8 entstanden zwischen 1922 und 1925. Grössere Klavierwerke schrieb Eisler erst wieder im amerikanischen Exil in den vierziger Jahren. Auf Verwandtschaften der 1943 entstandenen 3 Sonate mit Liedern der Exilzeit hat bereits Manfred Grabs aufmerksam gemacht und die Meinung geäussert, dass es sich hier nicht um bewusste Bezugnahmen handele, sondern dass ein verwandtes Anliegen zu gleichartigen musikalischen Formulierungen geführt habe. Als Beispiel führt er die Parallelität einer Stelle im Spruch 1939 mit dem ersten dynamischen Höhepunkt im Adagio der Sonate an.

Hier wäre zu ergänzen, dass der Topos des dreifach wiederholten Akkordes im fortissimo bereits auf dem Höhepunkt des ersten Satzes in Erscheinung tritt und im Adagio ein zweites Mal als Kulminationspunkt fungiert. Im Lied steht er am Beginn des Klaviernachspiels unmittelbar nach den Textworten "Ja! da wird gesungen werden von den finsteren Zeiten". Die schneidend scharfen Akkorde können also als musikalische Chiffre für die finsteren Zeiten verstanden werden. Neben solchen "tonsymbolischen" Beziehungen gibt es auch ähnliche strukturelle Verfahren in Lied und Sonate. Um beim "Spruch 1939" zu bleiben: er beginnt mit einer Art freier Rede, die sich über einigen wenigen liegenden Akkorden entfaltet. Es gibt zunächst kein erkennbares Metrum, dass den melodischen Fluss gliedert. Erst in den drei Takten vor dem Einsatz der Stimme mündet dieser in eine dreifach wiederholte bzw. variierte Figur, die metrisch klare Verhältnisse schafft.

Ganz analog verfährt Eisler am Anfang des 3. Sonate: freies bzw. wechselndes Metrum am Anfang, dann dreifache Wiederholung einer metrisch klaren Figur und Beginn eines neuen Themas. Eines der Hauptmotive des ersten Satzes, die Quarte im Triolenrhythmus mit anschliessendem Sekundfall findet sich auch in der Elegie 1943 (nach Hölderlin) und zwar auf die Worte "in Dunkel und Blässe". Der ganze Satz lautet: "So gärt' und wuchs und wogte von Jahr zu Jahr die unerhörte Schlacht, dass weit hüllt in Dunkel und Blässe das Haupt der Menschen", und er ist mit dem Sonatenbeginn nicht nur über das beschriebene Motiv verwandt, sondern auch durch die chromatische Abwärtsbewegung. Es ist allerdings bezeichnend für Eislers Komponieren, dass er auch hier wieder ein Mittel gegens Versinken in Klagelauten eingebaut hat: er durchsetzt die Klavierbegleitung mit Synkopen, um einem Zerfliessen in Trauer gegenzusteuern. Solche Synkopierungen bringt Eisler auch in der Begleitung im Lied Hotelzimmer 1942 an. Über den Gestus, den er hier anstrebte, hat er sich in den Bunge-Gesprächen wie folgt geäussert: "Das Gedicht wurde geschrieben in den Zeiten, wo aus allen Radios der Welt die ungeheuren Siege der Faschisten über uns hereinbrachen. Ich hoffe, dass ich das mit der freundlichen Weisheit singen kann, mit der ich es damals komponiert habe."

Freundliche Weisheit spricht auch aus dem Trauergesang des 2. Satzes der 3. Sonate, wo Eisler wiederum mit dem beschriebenen Synkopenmuster arbeitet.. Freundliche Weisheit ist sicher die Grundhaltung der Exillieder, sie ist aber nur eine der Haltungen der Sonate. Dort gibt aufgeregte und aggressive Partien, in denen Eisler auf Ausdruckstypen der Schönberg-Schule bzw. seiner frühen Zeit zurückgreift, die so in den Liedern nicht vorkommen.

Eisler nutzt also das Potential der Sonate, welche viel weitergehende Entwicklungen und Kombinationen zulässt als das Lied. Diese Differenz hervorzuheben, ist nicht minder wichtig als das Aufzeigen von Parallelen. Denn Eisler, der gesellschaftlich bewusste und verantwortungsvolle Musiker, verstand es wie wenige andere, das Komponieren auf die Gattung und das heisst auch: auf den Sinn und Zweck auszurichten.

Hanns Eisler: Arie aus dem Opernfragment "150 Mark" (Text: David Weber)

Hanns Eisler: 4. Variation aus der 2. Sonate für Klavier op. 6

Zurück zur Übersicht

 

© 2009 Christoph Keller. Alle Rechte vorbehalten.